Geschichte 1 - Tastifant 2020

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Therapie mit Fuß und Hand
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Es war ein mildwarmer Sommertag.

Ich balancierte auf dem dicken Ast einer großen alten Buche.
Ich war schon oft hier auf meinem Lieblingsbaum.
Ja, es war mein Baum.
Es interessierte mich nicht, dass die Welt in kleine Stücke aufgeteilt ist.
Für mich zählte nur das Ganze, das Große, in das ich mich integrieren konnte.

Ich kannte mittlerweile den Ablauf, die nötigen Handgriffe, den Kraftaufwand und die Sprungkraft, um den ersten Ast zu erreichen,
den ich mit meinen Händen fest umklammerte, um mich mit Hilfe der Beine an den Baumstamm stemmend, wie ein Äffchen nach oben  zu ziehen.

Der erste Ast war der schwierigste.

Doch dann konnte ich sicher ohne viel nachzudenken sehr weit nach oben klettern. Es ging automatisch und ich summte oft eine Melodie dabei. Ich konnte die Wärme der Sonne spüren, den milden mit Düften angereicherten Wind erleben, den Geruch des Baumes wahrnehmen.

Manchmal hatte ich noch ein kleines flaches Kaubonbon, das es für einen Pfennig im Dorfladen zu kaufen gab,
in meinem Mund und ich konnte den Geschmack von Zitrone, Himbeere oder Orange auf meiner Zunge langsam zergehen lassen.

Welch ein Glück ich doch hatte, nicht an einem Gameboy, iPod, iPad Pit oder Pat oder sonst irgendwas veröden
zu müssen.

Mich sensorisch frei zu entfalten, das war das eine. Doch welches Glück ich wirklich hatte, wurde mir bei meiner Arbeit als Ergotherapeut erst bewusst.

Was für mich selbstverständlich funktionierte, ist nichts als eine gelungene sensorische Integration.

Ohne diese hätte ich niemals den Baum hochklettern können. Ich hätte vielleicht die Kraft gehabt, vielleicht sogar die Absicht, doch es hätte sein können, dass ich keine Ahnung gehabt hätte, wie man da hoch kommt.
Oder es hätte sein können, dass mir das Gleichgewicht, das sogenannte vestibuläre System, einen Streich gespielt hätte oder mir sonstwas gefehlt hätte.

In meiner Arbeit als Ergotherapeut wurde mir klar, welches Glück ich doch hatte,  dass mir der Schöpfer dieser Welt alles mitgegeben hat, um alles ganzheitlich und ohne Einschränkung erleben zu können.
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